Reitkunst und Coaching | Pferdeosteopathie
Geschke Reitkunst

Thema: Reitunterricht – wie arbeite ich?

Ich werde ganz oft gefragt: Wie arbeitest Du? Meine Antwort lautet: Völlig unspektakulär! Der größte Anteil meiner Arbeit besteht darin, genau hinzuschauen. Wer bei mir Unterricht nimmt, lernt langfristig Zusammenhänge zu erkennen, um sich und seinem Pferd selbst helfen zu können.

Tatsächlich wirkt meine tägliche Arbeit mit dem Pferd völlig unspektakulär. Nichts zum Vorzeigen, schon gar nichts zum Angeben, meistens nicht einmal sichtbar für den Großteil der Zuschauer. Nur diejenigen, die ihr Auge geschult haben, können kleine oder sogar kleinste Veränderungen erkennen. Dazu muss man aber zumindest wissen, wohin man schauen muss.

„Was sehe ich?“ ist die erste Frage, die ich stelle, wenn ich zu einem Mensch-Pferd-Paar komme. Gemeinsam versuchen wir, den Gesamteindruck auf uns wirken zu lassen. Danach gehen wir Körperteil für Körperteil durch und beschreiben, was wir sehen resp. fühlen als Reiter. Wichtig dabei ist: nicht beurteilen, sondern beschreiben! Das ist schwer, weil wir es durch unseren Alltag gewohnt sind, Dinge zu beurteilen, um sie in unser Weltbild einordnen zu können. Das ist an dieser Stelle aber eher gefährlich, weil wir dadurch voreilige Schlüsse ziehen könnten und uns so selber den Blick verstellen. Dinge werden dann dorthin einsortiert, wo sie möglicherweise gar nicht hingehören, und bekommen dann nicht mehr die Aufmerksamkeit, die sie aber brauchen, um Aufschluss geben zu können über den aktuellen Zustand.

Beispiele dafür gibt es alltäglich massenweise, manchmal ist es uns nicht einmal bewusst. So etwas ähnliches wie das hier kennt jeder: Wir gehen an einer offensichtlich übergewichtigen Frau in einer roten Hose vorbei und denken spontan: na kein Wunder, dass die so schnauft! Ist ja klar bei dem Gewicht. Soll sie halt abnehmen. Oh mein Gott, die Hose sieht ja voll Kacke aus. Wie kann die nur Rot tragen?

Falls Euch das bekannt vorkommt, ist das ganz normal. So funktionieren Menschen. Eine Situation wird blitzschnell eingeordnet (bedrohlich/nicht bedrohlich), damit das System (Hormone) reagieren kann, zum Beispiel mit Stress oder eben nicht. Das läuft ganz von allein ab, immer und immer wieder, ohne dass wir das aktiv mitbekommen. Das ist unsere Überlebensstrategie.

Wertungsfreies Beobachten lässt sich lernen. Versucht das doch mal! Wenn Ihr das nächste Mal an der Frau vorbeikommt, beobachtet: aha, die Frau trägt eine rote Hose. Ich weiß, das ist schwer und man wird gerade am Anfang immer wieder zurückfallen in das alte Muster. Aber Ihr werdet es merken, dass Ihr zurückfallt, und das ist ein guter Anfang!

Und so schaue ich Pferd und Mensch an – wertungsfrei. Am Anfang hilft es, sich Notizen zu machen. Das passiert idealerweise zuerst im Stand und dann in Bewegung. Genauso beim Menschen: die Körperhaltung resp. der Sitz gibt Aufschluss über die Einwirkung. Sagt der Mensch tatsächlich das, was er meint?

Erst, wenn ich alles ausreichend beobachtet habe, kann ich mir überlegen, wo eventuell Zusammenhänge bestehen könnten. Die Ursache für ein Lahmen im Hinterbein kann durchaus im Kiefergelenk zu finden sein. Da könnte der Reiter dran beteiligt sein.  Wohingegen ein unruhiges Maul nicht zwingend das Ergebnis einer harten Reiterhand sein muss. Das Verhalten kann eventuell auch auf eine Erkrankung im Vorderhuf hinweisen.

Es braucht gute Kenntnisse der Anatomie und gar nicht wenig auch der Psychologie von Pferd und Mensch, um aus den gesammelten Beobachtungen ein individuelles Trainingskonzept ableiten zu können, von dem dieses Mensch-Pferd-Paar profitieren kann.

Um qualifizierten Unterricht anbieten zu können sollte der Reitlehrer mehr können als Befehle zu brüllen und Aufgaben reiten zu lassen. „Falscher Fuß“, „Hand/Absatz tief“ oder „Beine zu“ sind keine Qualitätsmerkmale für guten Unterricht. Damit wird Zeit totgeschlagen, die teuer bezahlt werden muss. Der Schüler hat nichts davon, außer dem Gefühl, dass er es einfach nicht kann und ohne den Trainer nicht weiterkommt. Ein guter Trainer hingegen sollte das Ziel haben, den Schüler von sich unabhängig zu machen!

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